Dienstag, 20. November 2012

Jetzt machen die Bewerber Front

Im Personalmanagement beschäftigt man sich intensiv mit der Frage, wie man Bewerber für Jobs im Unternehmen optimal auswählt. Formale Anforderungen, standardisierte Tests, strukturierte Interviews: Solche Methoden sollen den Personalern helfen, aus der Vielzahl der Bewerber den bestmöglichen Kandidaten zu ermitteln.

Doch in vielen Branchen ist heute gar nicht mehr das Hauptproblem, aus vielen Bewerbern den einen richtigen herauszufiltern. Viel stärker wiegt die Aufgabe, sich als Unternehmen dem gut ausgebildeten Nachwuchs zu präsentieren. Denn hochwertiges Personal wird als Ressource nicht nur zunehmend wichtiger. Die Ressource wird zumindest in Deutschland auch immer knapper.

Insbesondere für den deutschen Mittelstand ist daher das Gebot der Stunde, kreative neue Wege einzuschlagen, um im Wettkampf um die besten Mitarbeiter nicht dauerhaft aufs Abstellgleis zu fahren.

Es gibt verschiedene Punkte, an denen Personaler ansetzen können, um ihre Personalauswahl zu verbessern und wettbewerbsfähig auszugestalten. Von zentraler Bedeutung ist sicherlich die Nutzung effizienter Prozesse zur Personalauswahl. Dazu gehört z.B. die langfristige Planung personeller Ressourcen und die Kombination von Personalakquisition („frischem Blut“) und Personalentwicklung, also der zielorientierten Aus- und Weiterbildung von Facharbeitern und Führungskräften.

Diese „Baustelle“ kann das Unternehmen intern lösen, indem man sich am aktuellen Stand der Branche orientiert und Personalarbeit als Führungsaufgabe im Unternehmen mit entsprechend gut ausgebildeten Personalern besetzt.

Mindestens ebenso wichtig, speziell für das Gros der kleinen und mittleren Unternehmen, ist aber auch die Aufgabe, bei der Personalsuche effektiv zu sein, also tatsächlich geeignete Kandidaten zu finden und für das Unternehmen zu gewinnen. Versteht man Personalarbeit als Auswahl des Besten aus einer Menge von Bewerbungen, dann versteht man Personalarbeit grundlegend falsch. Es geht um das Schließen einer Lücke im Leistungserstellungsprozess mit einer geeigneten Ressource zu den besten Kosten. Auch wenn sich nur einer bewirbt: Wenn derjenige die Aufgabe (den Job) optimal erledigt, war der Personaler erfolgreich. Andererseits ist es kein Erfolg, aus einer Menge von 500 Bewerbungen eine herauszufinden, die die wenigsten Schwächen aufweist.

Um diesen Personalbedarf wirksam (effektiv) zu erfüllen, gibt es eine wichtige Hilfestellung: die Erfahrung, die Bewerber während ihrer Bewerbung machen. Das reicht vom ersten Kontakt mit dem Unternehmen durch eine Stellenanzeige oder den Personalbereich auf der Webseite über das gesamte Bewerbungsverfahren bis zum Interview.  Wie sehen Bewerber die Qualität von Anzeigen? Was ist von einem Unternehmen zu halten, das keine Hinweise für eine Initiativbewerbung vorhält? Wie gut ist ein potenzieller Arbeitgeber, wenn er schon für die Sichtung von Bewerbungsunterlagen mehrere Monate braucht? Sind Arbeitgeber für gut qualifizierte Bewerber interessant, wenn sie zwingend als Einstellungsvoraussetzung ein mehrmonatiges Praktikum erwarten?

Die SRH Hochschule für Wirtschaft und Medien geht diesen Fragen auf neue Art und Weise nach. Nicht die Selektion durch den Personaler ist entscheidend, sondern die Vorauswahl, die Bewerber treffen. Die Arbeitshypothese: Viele gute Bewerber bewerben sich erst gar nicht auf passende Stelle, weil die Darstellung des Arbeitgebers und seiner Stellenangebote bzw. generell seiner Personalarbeit sie nicht anspricht. Durch diesen Filtereffekt kommen die möglicherweise besten Kandidaten gar nicht in Kontakt mit dem Arbeitgeber. Das heißt im Umkehrschluss: Vielerortens kann der Arbeitgeber nicht aus einem Set von geeigneten Bewerbern den Besten auswählen. Er muss vielmehr aus einer Gruppe von Bewerbungen diejenige bestimmen, die die wenigsten Fehler oder Schwächen enthält.

Um diese Hypothese mit Leben zu füllen, haben Studierende der SRH Hochschule für Wirtschaft und Medien ein Blog gestartet, das die Erfahrung von Bewerbern sammeln möchte. Ziel ist es, daraus praktische Rückschlüsse für die Personalarbeit zu gewinnen. Dabei entstehen schnell ganz einfache Verbesserungsideen: Warum geben Unternehmen eigentlich keinen fachlichen Ansprechpartner an, damit sich Bewerber wirklich intensiv darüber informieren können, was genau die Aufgaben und Erwartungen sind, die mit der Stelle verbunden sind? Warum beschreiben Unternehmen auf ihrer Webseite nicht, wie man sich initiativ bewerben sollte – an die Personalabteilung oder an die Fachabteilung.

Schon die ersten Praxiserfahrungen haben einige Erkenntnisse und Ideen ans Tageslicht gefördert. Jetzt geht es darum, die von Anja Bertele und Alexander F. Ott redaktionell entwickelte Plattform bewerber-front dauerhaft mit Leben zu füllen. Grundidee des Blogs ist es, die Erfahrungen von Bewerbern an der Bewerbungsfront zu sammeln. So entsteht eine Plattform an empirischem Material, das genutzt werden kann, um Schwachstellen im Personalrekrutierungsprozess aufzudecken.

Anja Bertele und Alexander F. Ott studieren Medien- und Kommunikationsmanagement mit der Vertiefungsrichtung Verbraucher- und Wirtschaftsjournalismus. Beide schließen zur Zeit ihr Studium mit der Master-Thesis ab und haben selbst schon einige Erfahrungen an der Bewerberfront gesammelt. Durch die Idee, mit dem Blog bewerber-front eine dauerhafte Institution zu schaffen, bei der Bewerber ihre Erfahrungen aus der Bewerbungspraxis einpflegen können, ist der Grundstein zu einem spannenden Forschungsprojekt gelegt, das über die Zeit Erkenntnisse produzieren kann, die dem Bildungs- und Knowhow-Standort Deutschland wichtige Impulse gibt.

Prof. Dr. Thomas Becker (Gastblogger)

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